Vorwort von Dr. Ralph Gleis
Grußwort zu unserem Newsletter für September & Oktober 2020
Die Alte Nationalgalerie in Berlin zeigt unter dem Titel Dekadenz und dunkle Träume ab dem 18. September 2020 erstmals in Deutschland eine umfangreiche Gesamtschau des belgischen Symbolismus.
Rätselhafte Magie, erotische Sinnlichkeit und dunkle Traumwelten zeichnen den Symbolismus aus, der sich in den 1880er-Jahren als künstlerische Strömung formierte. Den Hintergrund bildete das Lebensgefühl einer Gesellschaft, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts in einer fundamentalen Krise wähnte. Dies brachte eine hochgradig subjektive und gefühlsbetonte Kunst hervor, die dem befürchteten Niedergang mit ausschweifender Lust und Todessehnsucht, mit Weltflucht und Exzess begegnete. Sie beförderte eine vermehrte Auseinandersetzung mit existenziellen und tabuisierten Themen wie Sexualität und Tod, dem Krankhaften sowie der menschlichen Psyche. Hierin nahm der Symbolismus bereits vielfach die 1899 publizierte Traumdeutung Sigmund Freuds vorweg.
In Belgien scheinen der Hang zum Morbiden und Dekadenten am deutlichsten ausgeprägt und die Durchsetzung des Symbolismus am umfassendsten gewesen zu sein. Neben Paris avancierte Brüssel im Fin de Siècle zur neuen Kunstmetropole und zu einem Knotenpunkt in der europäischen Kunstentwicklung mit wesentlichen Impulsen für die neue Richtung.
Deren wichtigste Vertreter in Belgien gilt es heute wiederzuentdecken, etwa den verruchten Félicien Rops, den subtilen Fernand Khnopff, den okkulten Jean Delville oder die Exzentriker Léon Spilliaert und James Ensor. Angeregt durch die zeitgenössische Literatur widmeten sie sich mit Vorliebe einer fantastischen Mystik, der Femme fatale oder der Seelenschau im Porträt, aber ebenso der symbolistischen Landschaft oder dem geheimnisvoll-unheimlichen Interieur. Ausgewählte Werke von Künstlern wie Arnold Böcklin, Max Klinger, Gustav Klimt, Gustave Moreau, Edvard Munch und James McNeill Whistler weiten den Blick auf den internationalen Kontext, in dem der belgische Symbolismus stand.
Ich bin froh und dankbar, dass dieses von mir langherbeigesehnte Projekt nun trotz Corona-Pandemie als Ausstellung der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, mit Unterstützung der Königlichen Kunstmuseen Belgiens, ermöglicht durch die Freunde der Nationalgalerie realisiert werden konnten. Gerade auch die vielen Museen und privaten Leihgeber aus Flandern von Antwerpen und Gent bis Brügge und Ostende haben diese Ausstellung durch ihre hochkarätigen Leihgaben erst ermöglicht.
Dr. Ralph Gleis
Leiter der Alten Nationalgalerie, Berlin